Erst heute bin ich wieder bei LinkedIn über eine der häufigst genutzten Metaphern im Bereich der Minimum Viable Products gestoßen (siehe unten). Jedes mal läuft es mir dabei kalt den Rücken herunter. Diesmal habe ich die Gelegenheit genutzt mit dem Mythos aufzuräumen.
Aber first things first. Was ist eigentlich ein Minimum Viable Product – oder kurz: MVP? Ein MVP ist die kleinstmögliche, erste Version eines Produktes oder einer Idee, die genug Wert im Zielmarkt stiftet, um relevantes Feedback für die Weiterentwicklung zu erhalten. Wieso ist das folgende Bild dabei so falsch und warum schadet es dem Kerngedanken des MVPs so sehr?
Die Kernaussage dieser bildlichen Darstellung ist: Niemand kann etwas mit einem einzelnen Reifen anfangen und das erste Feedback erhält man mit dem fertigen Produkt. Besser mit einem ganz einfachen Produkt anfangen und Mehrwert generieren und dann kleinschrittig zum finalen Produkt iterieren. Soweit so gut.
Gleichzeitig zeigt diese Grafik aber auch das größte Problem auf, dass wir täglich im Alltag bei Kunden und Marktbegleitern erleben. Der Fokus liegt vor allem auf dem minimalen und es wird wenig darüber nachgedacht, was denn eigentlich „viable“ in der Situation bedeutet. Das MVP wird nicht zum Selbstzweck gebaut, sondern als Vehikel, um frühzeitig Marktfeedback zu erhalten. Daher sollte die Fragestellung zu Beginn aus sein: Welche kritischen Faktoren und Ideen wollen wir mit dem MVP validieren? Und mit welcher Zielgruppe?
Wenn man sich jetzt die Grafik noch einmal ansieht wird der Fehler offensichtlich. Wenn wir eigentlich ein Problem lösen wollen, wofür ein Auto (bzw. ein motorisiertes, geschlossenes Fahrzeug) eine mögliche Lösung sein könnte, welches Feedback können wir dann von einem Skateboard-Fahrer erwarten?
Für ein Skateboard wird es Feedback geben wie „Die Rollen müssen ruhiger laufen!“ oder „Die Trittfläche sollte besser an den Schuhen haften.“. In wie weit bringt uns dieses Feedback näher zur Lösung unseres eigentlichen Problems? Niemand pendelt mit einem Skateboard zwischen Aachen und Köln. Und der Nutzer der das Pendel-Problem hat ist mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Skateboard-Freak.
Ein MVP muss immer mindestens genauso viable wie minimal sein und vor allem viable im Bezug auf die zugrunde liegende Problemstellung und den zu testenden Zielmarkt. Henry Ford wird (fälschlicherweise) das Zitat zugeschrieben: „Wenn ich nur auf meine Kunden gehört hätte, hätten wir jetzt keine Autos, sondern schnellere Pferde.“. Blind auf den Kunden zu hören und nicht das Problem selbst anzupacken ist der erste Fehler. Der gravierendste Fehler hier ist es den falschen Kunden zu fragen und damit unbrauchbares oder sogar schädliches Feedback für den eigentlichen Zielmarkt zu erhalten.
Daher sollte eine überholte Version dieser Grafik eher so aussehen:
Wir starten mit einem einfachen, rudimentären Auto. Dann bekommen wir das Feedback, dass eine kleinere, wendigere Version besser wäre. Wir iterieren zu einem Sportwagen. Das Feedback haben wir aber etwas falsch verstanden, sind jetzt aber näher dran. Eigentlich wollte der Kunde etwas wie einen Smart. Und in der letzten Iteration bekommen wir raus, dass es ein E-Auto sein sollte und dass die Farbe Blau im Markt besser funktioniert. Vom ersten Schritt an haben wir den richtigen Kunden gefragt. Vom ersten Moment an haben wir ein im Zielmarkt verkaufbares, solides Produkt. So funktionieren MVPs wirklich.
Daher mein Appell an dieser Stelle an alle Agile & Innovations-Berater: Bitte bitte bitte hört auf das alte Bild des Skateboard zu verteilen. Auch wenn der Kerngedanke nicht falsch ist, es richtet mehr Schaden an als es an Mehrwert stiftet.
Mit 15 Jahren Erfahrung aus Design, Produktmanagement, Software-Entwicklung, Prozessoptimierung und Strategieberatung liegt mein Herzblut in Innovationsprojekten und Workshop Moderation. Meine Liebe zum Pragmatismus und mein Hekel an nicht wertschöpfenden Dingen zieht sich durch all unsere Leistungen und Projekte. Ich freue mich darauf dich kennenzulernen – vielleicht kann ich auch euch zu mehr Agiltiät und schnelleren Ergebnissen verhelfen.